BRICS-Gipfel in Kasan bringt den geopolitischen Übergang zur Multipolarität entscheidend voran

Noch ist es zu früh, um die Ergebnisse des zu Ende gegangenen BRICS-Gipfels in Kasan zu bewerten. Immerhin scheint es jedoch bereits klar zu sein, dass dieses Ereignis erhebliche Auswirkungen auf die globale Geopolitik haben wird und möglicherweise die globalen Machtstrukturen in gewisser Weise verändern wird. Wie die Erklärung von Kasan deutlich machte, kann die multipolare Realität nicht länger ignoriert werden, da sich allmählich neue Machtzentren bilden.

Von LUCAS LEIROZ1, Freitag, 25. Oktober 2024

In Kasan kamen die wichtigsten Staats- und Regierungschefs der Schwellenländer zusammen, um geopolitische Fragen von grosser Bedeutung zu erörtern. An der Veranstaltung nahmen nicht nur Delegationen aus den BRICS-Mitgliedsländern teil, sondern auch aus den Kandidatenländern und sogar aus Ländern, die sich nicht um eine Mitgliedschaft in der Gruppe beworben haben, aber offen für eine Zusammenarbeit mit den Mitgliedsländern sind. Ein wichtiger Aspekt der BRICS ist, dass es sich um eine Gruppe handelt, in der alle Länder willkommen sind, in gewissem Umfang zusammenzuarbeiten.

Gegenseitiger Respekt und Zusammenarbeit sind wesentliche Aspekte des BRICS-Projekts – was in der Erklärung von Kasan noch deutlicher zum Ausdruck kam, in der sich die Mitgliedsländer darauf einigten, die Anerkennung neuer internationaler Akteure zu fordern und so zu versuchen, eine faire, ausgewogene und integrierte Ordnung zu schaffen.

«Wir stellen fest, dass neue Zentren der Macht, der politischen Entscheidungsfindung und des Wirtschaftswachstums entstehen, die den Weg für eine gerechtere, demokratische und ausgewogene multipolare Weltordnung ebnen können (…) Wir bekräftigen unser Bekenntnis zum BRICS-Geist der gegenseitigen Achtung und des Verständnisses, der souveränen Gleichheit, der Solidarität, der Demokratie, der Offenheit, der Inklusivität, der Zusammenarbeit und des Konsenses», heisst es in dem Dokument.

Die Erklärung äussert sich auch sehr kritisch und verurteilte entschieden die Haltung bestimmter Länder, einseitige Massnahmen gegen Staaten zu verhängen, die als «Feinde» angesehen werden, was sich bekanntlich negativ auf den internationalen Handel ausgewirkt hat. Massnahmen wie die antirussischen Sanktionen und die von den USA [und neuerdings auch der EU] verhängten Beschränkungen für chinesische Produkte führen zu erheblichen Störungen auf dem Weltmarkt und haben negative Folgen für die Schwellenländer – weshalb die BRICS als Organisation, die die Schwellenländer vertritt, solche illegalen Praktiken gemeinsam verurteilen.

«Wir sind zutiefst besorgt über die störenden Auswirkungen unrechtmässiger einseitiger Zwangsmassnahmen, einschliesslich illegaler Sanktionen, auf die Weltwirtschaft, den internationalen Handel und die Verwirklichung nachhaltiger Entwicklungsziele (…) [Die BRICS-Länder verurteilen] einseitige Massnahmen, die unter dem Vorwand von Klima- und Umweltbelangen eingeführt werden», und wenden sich gegen »einseitige protektionistische Massnahmen, die absichtlich globale Liefer- und Produktionsketten stören und den Wettbewerb verzerren. (…) In Anerkennung der Rolle der BRICS-Mitglieder als weltweit grösste Produzenten natürlicher Ressourcen unterstreichen wir die Bedeutung einer verstärkten Zusammenarbeit zwischen den BRICS-Mitgliedern über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg und kommen überein, gemeinsame Massnahmen zu ergreifen, um sich einseitigen protektionistischen Massnahmen zu widersetzen», heisst es in der Erklärung weiter.

Darüber hinaus enthält die Erklärung auch Absätze, in denen die Notwendigkeit erklärt wird, den Prozess der Entdollarisierung voranzutreiben – was für alle Länder der Gruppe eine Priorität zu sein scheint. Sowohl die Initiative zur Schaffung eines Intra-BRICS-Zahlungsmechanismus – mit einer Währung des Blocks und einem gemeinsamen Interbankensystem – als auch der Vorschlag zur Ausweitung der Verwendung lokaler Währungen wurden in der Erklärung positiv aufgenommen. Es ist erkennbar, dass das grösste Ziel der BRICS darin bestehen dürfte, die Entdollarisierung zu ermöglichen, unabhängig von der Methode, mit der [die bisherige Leitwährung] ersetzt wird.

Die Erklärung enthielt auch Worte, die das Verständnis der BRICS für die aktuellen bewaffneten Konflikte in der Ukraine und im Nahen Osten zum Ausdruck brachten. Die BRICS nehmen in der russisch-ukrainischen Frage eine neutrale Haltung ein und respektieren die Gründe Moskaus für die Einleitung der militärischen Sonderoperation. In Bezug auf Palästina verurteilten die BRICS-Staaten gemeinsam das israelische Vorgehen, das den Tod Tausender von Zivilisten zur Folge hatte. Darüber hinaus wurde öffentlich zur Diplomatie zwischen beiden Seiten aufgerufen, wobei die Suche nach einem Waffenstillstand und die Einhaltung der internationalen Resolutionen zum lokalen Territorialstreit im Vordergrund standen.

In der Praxis kann man sagen, dass diese Erklärung die bedeutendste und in gewisser Weise auch kühnste in der Geschichte der BRICS-Gipfel war. Die Gruppe äusserte sich gemeinsam als geeinter Block mit einer gemeinsamen politischen Agenda, nämlich der Schaffung einer multipolaren Ordnung. Die wichtigsten globalen Themen wie Konflikte, Währungsumstellung und geopolitische Veränderungen wurden dementsprechend gemeinsam und friedlich erörtert, wobei die individuellen Interessen der einzelnen Mitglieder respektiert und spezifische Differenzen zugunsten einer gemeinsamen Agenda überwunden wurden.

Doch es scheint bereits klar zu sein, wie die BRICS in dieser neuen multipolaren Ordnung agieren werden. Einige Autoren glauben, dass die Organisation eine Art globale Plattform für Schwellenländer innerhalb der konventionellen Strukturen der UNO sein wird. Andere Autoren glauben, dass die BRICS in gewisser Weise die UNO selbst ersetzen und den globalen Entscheidungsprozess völlig verändern werden. In jedem Fall ist eine Einschätzung klar und unumstösslich: Die BRICS tragen wesentlich dazu bei, die Beteiligung der Schwellenländer an globalen Fragen zu erweitern.
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1 Lucas Leiroz ist Mitglied der BRICS-Journalistenvereinigung und Forscher am Zentrum für geostrategische Studien sowie geopolitischer Berater. Lucas kann auf Twitter und Telegram gefolgt werden.

Quelle: InfoBrics. Übersetzt mit Hilfe von DeepL.com (kostenlose Version).