Kongress der Freidenker-Weltunion:
Vom 24. bis 26. Mai 2013 tagte in Mannheim der 44. Kongress der Weltunion der Freidenker. Der Baden-Württembergische Freidenker-Vorsitzende Ian Bailey begrüßte die Delegierten auf‚ heimischem Boden‘ im Bürgerhaus-Neckarstadt-West.
Im Mittelpunkt der Tagung stand das Verhältnis des Freien Denkens zur Politik: Der Vorstellung, die Freidenker sollten sich auf Themen der Religions- und Kirchenkritik beschränken, hielt Klaus Hartmann, Vorsitzender des Deutsch en Freidenker-Verbandes, in seinem Referat entgegen: „Freidenker kämpften immer gegen die Privilegien der Kirche. Wenn die Kirchen das Privileg beanspruchten, zu allen Fragen der Welt Stellung zu nehmen, werden Freidenker „die Kirchen doch nicht auch noch dafür honorieren, dass wir ihnen auf Gebieten, für die sie absolut unzuständig sind, das Feld überlassen, uns zurückziehen, und nur noch über die jungfräuliche Empfängnis, den Weihnachtsmann oder, wenn’s hochkommt, über pädophile Priester reden.“
So sei es bei der „Privataudienz“ des neuen Papstes für die Bundeskanzlerin kürzlich laut Medien um Themen gegangen wie „die Globalisierung, die Krise, die Rolle Europas in der Welt“. Die Kirchen wollten den Anschein erwecken, die Religion hätte auch Antworten auf die heute drängenden Fragen des Alltags, in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Natürlich würden die Freidenker „die Wortmeldungen der Kirchenfürsten nutzen, um zu entlarven, dass sie auch in ihren Stellungnahmen zu aktuellen Problemen von Doppelmoral und Heuchelei geprägt sind.“
Das tat Hartmann dann auch im weiteren Teil seines Vortrags. Er sprach ausführlich über die Diktatur des anderen Argentiniers mit dem Vornamen Jorge, des soeben verstorbenen Jorge Rafael Videla, um daran zu erinnern, welche Rolle Jorge Mario Bergolio („besser bekannt unter seinem Künstlernamen Papst Franziskus“) unter dem Militärregime gespielt hat. Dass sich dieser Papst als verschworener Gegner der Befreiungstheologie den Namen des „Heiligen der Armen“ zugelegt hat, entspringe, so Hartmann, „einem ‚strategischen Kalkül’, muss als Versuch zur Tarnung und Täuschung gewertet werden.“ Der neue Papst wurde gebraucht, nachdem die Vatikanbank ihren eigenen Beitrag zu Finanzkrise und Bankenskandal geliefert hat: „Außer Papst Benedikt mussten der Bankdirektor Gotti Tedeschi und der Chef der Finanzaufsicht ihren Hut nehmen.“
Des weiteren gab Hartmann einen Abriss der „unrühmlichen Geschichte“ des Vatikans (Bündnis mit Mussolini, Geheimloge P2, Neofaschisten, NATO-Untergrundarmee Gladio, Aufruf zum Kreuzzug den gottlosen Kommunismus, Rolle des Malteserordens als reaktionärer Think Tank etc.) Fazit: „Alle sogenannten Stellvertreter Gottes standen stets auf der Seite der Mächtigen….Für Freidenker sollte klar sein, dass wir entschieden die Gegenposition beziehen: Gegen die Eliten des Finanzkapitals, gegen die Ganoven in Bankvorständen und Regierungen, gegen Faschismus und die Kriege der „Neuen Weltordnung“.
Klaus Hartmann erinnerte an das Verbot der Freidenker vor 80 Jahren, wenige Wochen nach Machtantritt der Faschisten in Deutschland. Der Verbandsvorsitzende Max Sievers wurde wegen seiner antifaschistischen Widerstandsarbeit 1944 nach Hochverratsprozess und Todesurteil von Freislers „Volksgerichtshof“ mit dem Fallbeil ermordet. Sein Vermächtnis und das der Freidenkerin und Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner sind für die Freidenkerbewegung Verpflichtung, gegen Faschismus und Krieg aufzustehen.
Im letzten Teil seiner Ausführungen belegte Hartmann mit zahlreichen Beispielen aus der Geschichte der Freidenker seit 1880, dass die Vorstellung, man könne die staatlich-politische Sphäre von der geistig-kulturellen Sphäre lösen, und die Freidenker könnten sich auf die letztere beschränken,…….nicht der gesellschaftlichen Realität entspricht. Eine solche Haltung entspringe vermutlich eher opportunistischen Erwägungen: Man wolle nicht „unangenehm auffallen“, keine „Außenseiterrolle“ spielen, nicht als „Querulanten auf allen Gebieten“ wahrgenommen werden. Alle Freidenker seien aufgerufen, sich für die umfassende Freiheit und Selbstbestimmung des Menschen einzusetzen, sich ihrer gesellschaftspolitischen Aufgabe bewusst zu sein und entsprechend zu handeln. Abschließend bekräftigte Hartmann die Feststellung der Rotterdamer Erklärung der Freidenker von 1974: „Voll entfalteter Humanismus ist nicht möglich, solange das Streben nach höchstmöglichem persönlichen Gewinn der Sondereigentümer alle zwischenmenschlichen Beziehungen vergiftet und letztlich sogar zur Quelle von Kriegen wird. Dass zu deren Vorbereitungen die Demokratie ständig angegriffen und eingeschränkt wird, hat die jüngste Geschichte bewiesen. Faschismus, II. Weltkrieg und Vietnam bleiben als ständige Mahnung und Verpflichtung.“
Vladimir Krsljanin (Belgrad) beschrieb in seinem Referat „Das Freie Denken im Zeitalter der Kriege und Revolutionen“ die Weltlage nach dem Zusammenbruch der UdSSR, der „größten geopolitischen Katastrophe“ (Putin) und den weltpolitischen Veränderungen seit den 1980er Jahren.
Die gegenwärtige Entwicklung sei, so die These des Referenten, ein Krieg der Oligarchie gegen die Menschheit. Dieser Krieg könne nach Bedeutung und Ausmaß mit den Weltkriegen verglichen werden. Die Weltwirtschaftskrise beweise allerdings, „dass die Oligarchie dabei ist, die Schlacht zu verlieren, und dass sie keine Chance der Verwirklichung ihrer Weltherrschaft hat.“ Und zwar wegen der gleichzeitig stattfindenden Demokratisierung des Wissens und des Wachstums der Menschheit auf der immanenten Grundlage menschlicher Kreativität. Dagegen kämpfe die Diktatur der Oligarchie mit allen Mitteln der Desinformation, Manipulation und Gehirnwäsche. Sie versuche, die Menschen zuerst zu Konsumenten, dann zu Sklaven und schließlich zu Waren zu machen. Dem entgegen wirkten die Schranken der menschlichen Ethik und der menschlichen Gemeinschaft die in allen ihren Formen Moral hervorbringe.
Den NATO-Krieg gegen Jugoslawien mit Vorgängen wie „Srebrenica“ und „Rajak“ beleuchtete der Referent als exemplarisch für den Weltherrschaftskrieg der Oligarchie. Er zitierte den Blair-Vertrauten und EU-Beamten Robert Cooper. In dessen Buch mit dem bezeichnenden Titel „Die Zerschlagung von Nationen: Ordnung und Chaos im 20. Jahrhundert“ heißt es: „Für den postmodernen Staat besteht daher eine Schwierigkeit. Er muss sich an den Gedanken doppelter Standards gewöhnen. Untereinander verhalten sich die postmodernen Staaten auf der Basis der Gesetze und offener kooperativer Sicherheit. Aber wenn sie es mit altmodischeren Staaten außerhalb der Grenzen der Postmoderne zu tun haben, müssen die Europäer auf rauere Methoden einer früheren Epoche zurückgreifen – Gewalt, präventiver Angriff, Täuschung, alles, was gegenüber denen angebracht ist, die noch, in der Welt des auf sich selbst gestellten Staates des 19. Jahrhunderts leben. Im Dschungel muss man die Gesetze des Dschungels anwenden.“
Krsljanin wies darauf hin, dass alle Kriegsereignisse auf dem früheren jugoslawischen Territorium während der 90er Jahre 125.000 Mensch den Tod gebracht habe. Doch die ersten 11 Jahre westlicher Herrschaft in Serbien kosteten rund 400.000 Leben von Opfern der „Transformation“. Der Frieden der Oligarchie, die „Pax Americana“ sei ein größeres Verbrechen als Krieg. Doch, so Putin in seiner Rede in München 2007, es gebe „keinen Grund zu zweifeln, dass sich das wirtschaftliche Potential der neuen Zentren des globalen wirtschaftlichen Wachstums unweigerlich in politischen Einfluss verwandeln und die Multipolarität stärken wird.“
Im dritten Hauptreferat von Klaus von Raussendorff „Freies Denken im Kampf der Weltanschauungen“ ging es um die Frage, wie das Spezifische der freidenkerischen Weltanschauung zu verstehen sei. Als Freidenker bezeichneten sich unterschiedliche Kritiker von Dogmatismus, Anhänger verschiedener Spielarten von Rationalismus: Atheisten, Agnostiker, Anarchisten, Libertäre etc. Diese hätten aber in Fragen der Politik und Gesellschaft keineswegs übereinstimmende weltanschauliche Orientierungen. Dagegen könnten Freidenker und Gläubige im gesellschaftlich-politischen Bereich durchaus von gleichen Analysen ausgehen und gemeinsame Ziele verfolgen. Daraus sei zu folgern, dass sich freies Denken als weltanschauliche Bewegung nicht als eine Doktrin unter anderen konstituiert sondern durch die Methode, jede Weltanschauung, einschließlich der eigenen freidenkerischen, als einen Reflex der gesellschaftlichen Realität aufzufassen. Die modernste Methode, den Gegensatz von Ideologie und materiellem Sein in einer übergreifenden Einheit zu begreifen, in der das materielle Sein das primäre, letztlich entscheidende Element darstellt, sei, so die These des Referenten, die Methode der materialistischen Dialektik.
Die dialektisch-materialistische Methode anzuwenden, um die Grundbegriffe des politischen Lebens (Demokratie, Recht, Menschenrechte, Zivilgesellschaft, nationale Tradition etc.) der Deutungshegemonie der herrschenden Kultur zu entwinden und ihnen einen Inhalt im Sinne einer Kultur der Volksmassen zu geben, sei, so der Referent, die Aufgabe, die sich die deutschen Freidenker mit ihrem Programm „Richtigstellung der Begriffe“ gestellt hätten.
Die auf die Nation und den Nationalstaat bezogene Ideologie des Nationalismus diente dem Referenten als Beispiel um das Verfahren der materialistischen Dialektik zu demonstrieren. Auszugehen war dabei von der Analyse, dass die herrschende Ideologie der Machteliten den Nationalstaat abwertet und eine Ideologie der Supranationalität auf globaler und europäischer Ebene propagiert. Dagegen versuchte der Referent zu zeigen, dass sich hinter dem pseudo-internationalistischen Konzept nur der Interessenegoismus der heutigen Finanzoligarchie verberge. Doch habe die Propaganda des Supranationalismus eine starke desorientierende Wirkung bis in die Linke und Friedensbewegung hinein. Ihr Einfluss beruhe darauf, dass der offen chauvinistische Weltkriegsnationalismus diskreditiert sei. So gelinge die Täuschung, supranationalistische Surrogate wie die Idee einer globalen Ordnung oder eines integrierten Europa sei irgendwie mit dem Internationalismus der Arbeiterbewegung vergleichbar und vereinbar. Tatsächlich aber, so der Referent, sei auf der Basis der anarchischen, konkurrenzgetriebenen kapitalistischen Produktionsweise die vorgetäuschte „Ordnung“ gänzlich unmöglich. Die Weltwirtschaftskrise offenbare die gewaltsamen Widersprüche innerhalb des imperialistischen Staatssystems.
Dagegen zeige sich das Nationalbewusstsein der Volksmassen besonders im Kampf gegen imperialistische Kriege. Als beispielsweise bei Aktionen der Solidarität mit dem vom Westen angegriffenen Syrien einheimische Deutsche und hiesige Einwanderer aus der betroffenen Region erstmals hierzulande gemeinsam auf die Straße gingen, sei sichtbar geworden, dass sich der nationale Protest der Deutschen gegen die eigene Regierung zu richten habe, während die patriotischen Syrer neben der Zurückweisung der lügenhaften Verzerrungen der Darstellung ihres Landes ihre Unterstützung der eigenen Regierung zum Ausdruck gebracht hätten. Ihre Losung lautete: „Allah, Syrien, Bashar“. Dabei sei also auch ein religiöses Element ihrer nationalen Kultur ins Spiel gekommen. Besondere Ausdrucksformen des Nationalgefühls seien als Reflex der sozialen Realität zu bewerten. Der echte Internationalismus bilde eine dialektische Einheit mit dem Nationalbewusstsein „von unten“. Er beruhe, so die abschließende Feststellung des Referenten, auf dem Völkerrecht, den Verhaltensnormen der internationalen Staatengemeinschaft.
Während der Tagung wurde über internationale Schauplätze des Kampfes gegen Klerikalismus und Reaktion berichtet, so aktuell in Frankreich, wo Rechtsextreme und katholische Kirche gegen die sogenannten „Homo-Ehe“ mobil machen.
Die Delegierten beschlossen u.a. eine Resolution zum „Menschenrecht auf Wasser“, gegen die Privatisierung und Patentierung menschlicher Lebensgrundlagen. In einer weiteren Entschließung wird die westliche Doppelmoral im Umgang mit dem Islam und islamistischen Kämpfern kritisiert:
„Die westlichen Mächte führen gemäß ihrer Propaganda Kriege angeblich ‚für Menschenrechte’, ‚gegen Terror’ oder eine ‚islamische Gefahr’. Sie entfachen in ihren Heimatländern islamophobe Kampagnen, um die Unterstützung der Bevölkerung für ihre neokolonialen Kriege zu gewinnen. Damit fördern sie den Rassismus und untergraben das Zusammenleben. Aber die gleichen kriegführenden Regierungen haben überhaupt keine Probleme damit, sich mit dem reaktionärsten islamistischen Regimes und Organisationen zu verbünden, wenn es gegen ihre ausersehenen Feinde geht.“
Nach der CIA-Gründung von Al Qaida in Afghanistan wurden die islamistischen Kämpfer in Bosnien und im Kosovo eingesetzt, zum Kampf gegen das laizistische Libyen Muammar al Gaddafis abkommandiert und aktuell sollen sie das säkulare Syrien zerschlagen.
„Die Freidenker, einig in der Verurteilung von Rassismus, religiösem Fanatismus und imperialistischem Krieg, klagen diese Doppelmoral des Westens, den Missbrauch der Religion und das Schüren religiöser Spannungen durch die Kriegstreiber an. Wir fordern die sofortige Beendigung der Aggression gegen Syrien, das Ende der Kriegsdrohungen gegen den Iran, den sofortigen Abzug aller NATO-Truppen aus Afghanistan, das Ende von Landraub, Apartheid und Besatzung in Palästina!“
Der Internationale Rat der Weltunion wählte ein siebenköpfiges Exekutivbüro mit Vertreter(inne)n aus Deutschland, Frankreich, Österreich, der Schweiz und Serbien. Der bisherige Präsident Louis Roger (Brest) ist nun Ehrenpräsident, der Bundesvorsitzende des Deutschen Freidenker-Verbandes Klaus Hartmann wurde zum Präsidenten gewählt.
Zum Abschluss des Wochenendes stand eine freidenkerische Stadtführung in Heidelberg auf dem Programm, bei der Vera Glitscher besonders auf das Wirken des Philosophen Ludwig Feuerbach in der Stadt einging.