Ansprache von Klaus Hartmann, Präsident der Weltunion der Freidenker,
19. Februar 2000
Liebe Freundinnen und Freunde des Freien Denkens,
Bürgerinnen und Bürger von Rom!
Ich begrüße Euch im Namen der Weltunion der Freidenker zu unserer gemeinsamen Kundgebung aus Anlass des 400. Jahrestages der Ermordung von Giordano Bruno.
Wenn sich die Freidenker Italiens und anderer Länder auf dem Campo dé Fiori in Rom versammeln, dann tun sie dies, um eines großen Menschen zu gedenken und um an ein großes Verbrechen zu erinnern.
Wir gedenken Giordano Brunos und seiner epochalen Verdienste um die Philosophie und die Freiheit des Denkens.
Wir erinnern an das große Verbrechen des Vatikan, der diesen Menschen hier auf diesem Platz vor 400 Jahren brutal ermorden ließ.
Doch dieses Gedenken und Erinnern läßt uns zugleich unseren Blick auf die Gegenwart richten, auf die Bedingungen und auf die Feinde des Freien Denkens heute.
Giordano Bruno hat mit seinem konsequenten Denken des Begriffs der Unendlichkeit in der Tat Bahnbrechendes für die Entwicklung einer Weltanschauung auf wissenschaftlicher Grundlage geleistet. Die Kirche hat diese Gefahr für ihr Dogmengebäude und ihre Macht absolut richtig eingeschätzt.
Brunos Wirken am Ende des 16. Jahrhunderts markiert den Übergang des Mittelalters zur Neuzeit. Giordano Bruno besaß eine umfassende philosophische und naturwissenschaftliche Bildung. Er kannte die Werke von Epikur, Demokrit und Aristoteles, von Averroes, Avicenna und Thomas von Aquin, von Nicolaus von Cues und Erasmus von Rotterdam. Er beschäftigte sich mit Astronomie und Physik, besonders mit den Werken von Kopernikus. Dieser hatte bereits die Vorstellung von der Erde als Mittelpunkt des Universums widerlegt, und die Sonne an ihre Stelle gesetzt.
Giordano Bruno überwand auch diese Vorstellung durch die Entdeckung des unendlichen Kosmos.
Das Universum definierte er als die unendliche stoffliche Substanz im unendlichen Raum, als Einheit und Kontinuum.
Ausgehend vom Begriff der Unendlichkeit des Universums brachte er den kirchlichen Himmel über der Welt zum Einsturz und stieß den über uns herrschenden Gott vom Thron. Zugleich gab er damit die Vorstellung des strengen göttlichen Strafgerichts der Lächerlichkeit preis.
Noch bedeutsamer in weltanschaulicher Hinsicht war aber die aus der Unendlichkeitsvorstellung gewonnene Einsicht der Einheit, Unerschaffbarkeit und Unzerstörbarkeit der Materie. Mit dieser Ablehnung von Ursachen außerhalb der Welt prägte er ein wissenschaftliches Weltbild aus, das die Entwicklungen aus inneren Gesetzmäßigkeiten erklärt. Damit wurde er zum Wegbereiter der modernen Naturwissenschaften und er schuf die philosophischen Grundlagen für einem materialistischen und dialektischen Monismus.
Brunos Erkenntnisse waren und sind unverzichtbare und unverlierbare Grundlagen der weiteren geistesgeschichtlichen Entwicklung. Sein Denken beeinflusste Spinoza, die Philosophen der französischen und deutschen Aufklärung, Goethe und Leibnitz, und nicht zuletzt John Toland, für den erstmals in der Geschichte der Name Freidenker geprägt wurde. Und auch die Philosophie von Friedrich Hegel, Ludwig Feuerbach und Karl Marx steht auf den Schultern Brunos.
Mit vollem Recht hat sich Bruno den Ruf eines Revolutionärs erworben, der das bislang gültige Weltbild radikal und nachhaltig verändert hat.
Die Katholische Kirche sah sich im 16. Jahrhundert in keiner komfortablen Situation.
Die Renaissance war voll entfaltet. Der Buchdruck brach das bisherige Bildungsmonopol der Kirche. Die Entwicklung des Handwerks, des Handels, der Seeschiffahrt und die geografischen Entdeckungen förderten die Durchbrechung des engen geistigen Horizonts.
Nachdem wegen des Alleinvertretungsanpruchs Roms die orthodoxen Kirchen ihre Unabhängigkeit begründet hatten, spalteten sich nach der Reformation die Protestantische und die Calvinistische Kirche ab. Oppositionelle religiöse Strömungen wie Waldenser und Albigenser wurden als Ketzer blutig verfolgt.
In Bauernkriegen und Aufständen entwickelte sich die frühbürgerliche Revolution.
Gegen die zunehmende Infragestellung und Bedrohung ihrer geistigen, weltlichen und ökonomischen Macht schuf sich die Kirche das barbarische Instrumentarium der « Heiligen Inquisition. »
In fast ganz Europa wurden sogenannte Ketzer und Hexen blutig verfolgt, Hunderttausende fielen diesem Wahn zum Opfer.
Ihr Schicksal mußte auch Giordano Bruno teilen. Die Männer Gottes adelten ihn zum « Ketzerfürst », um ihn mit dem Satan auf eine Stufe zu stellen.
Bertrand Russel charakterisierte das vatikanische Vorgehen gegen Bruno mit den Worten: « Wie schon oft zuvor fällten die Diener des bestehenden aus Furcht vor Umwälzung ein wildes Urteil über einen, der es wagte, anderer Meinung zu sein. »
Ungebeugt und unerschrocken antwortete Bruno auf das Todesurteil des Inquisitionsgerichts:
« Mit größerer Furcht wohl sprecht Ihr mir das Urteil, als ich es empfange ».
Bis in seinen Tod blieb Giordano Bruno nur der Vernunft und der Wahrheit verpflichtet. Er wurde zum Märtyrer des Freien Denkens. Deshalb betrachten ihn alle Generationen von Freidenkern bis heute zu Recht als ihren Vorkämpfer und ihr Vorbild.
Die brutale Ermordung Brunos auf diesem Platz vor 400 Jahren fand auch in einem sogenannten « Heiligen Jahr » statt. Rechtzeitig zu Beginn des Spektakels wollte der Vatikan den « Schandfleck », als den sie Bruno empfand, beseitigen.
Sogar einen neuen Balkon ließ der Vatikan gegenüber des Platzes bauen, damit 50 Kardinäle sozusagen von einer Ehrentribüne aus das blutige perverse Spektakel genießen konnten.
Mit dem Mord an Giordano Bruno, mit dem hunderttausenfachen Mord der Inquisition hat die Katholische Kirche ihren ewigen Ruhm begründet: als verbrecherische, als kriminelle Organisation.
Aber während man von Menschen sagt, dass sie mit zunehmendem Alter weiser werden, scheint die Kirche immun gegen diese Entwicklung zu sein.
Als 1889 zu Ehren Giordano Brunos dieses Denkmal auf dem Campo dé Fiori errichtet wurde, lief der Vatikan Sturm dagegen. Papst Leo XIII., der sich als « Reformpapst » feiern ließ, bezeichnete Bruno damals als » unaufrichtig, verlogen, bösartig und intolerant » und wissenschaftlich ohne jede Bedeutung.
Diese Urteil fällt auf den Papst und seinesgleichen zurück.
Und im Jahr 2000? Auch wenn man es nicht für möglich hält – auch diesmal hat der Vatikan versucht, das Denkmal während des « Heiligen Jahres » entfernen zu lassen.
Trotzdem bemüht sich der Vatikan ständig, seinen schlechten Ruf durch mehr Offenheit und auch Anerkennung von Schuld vergessen zu machen. So hat er zum Beispiel seine Archive geöffnet – mit einem Schönheitsfehler: die Akten über Giordano Bruno sind verschwunden!
Auch die Behörde der « Heiligen Inquisition », die für das Todesurteil gegen Bruno verantwortlich zeichnet, wurde bis heute nicht aufgelöst. Sie wurde nur umbenannt in « Kongregation des Glaubens » mit dem deutschen Kardinal Josef Ratzinger als Oberinquisitor an der Spitze.
Einige prominente Opfer wurden inzwischen von der katholischen Kirche « rehabilitiert ». Giordano Bruno hat das nicht zu erwarten. Am 3. Februar 2000 meldete Radio Vatikan, « nach Ansicht des päpstlichen Haustheologen, George Cottiers, wird es keine Rehabilitierung des vor 400 Jahren hingerichteten Renaissance Gelehrten Giordano Bruno geben. » Seine fürwahr göttliche Begründung in der katholischen Zeitung Avvenire: « Brunos Denken sei niemals katholisch gewesen. »
Das unterscheidet Bruno natürlich von anderen, z. B. Kriegsverbrechern. Die muss der Papst nicht erst rehabilitieren, die kann er gleich selig sprechen. So hat Karol Woityla erst 1998 den berüchtigten kroatischen Kardinal Stepinac selig gesprochen, der seine Hand schützend über das faschistische Ustascha-Regime gehalten hat, und über die vielen Priester seiner Kirche, die eigenhändig das Vernichtungslager Jasenovac betrieben haben, in dem bis 1944 Hunderttausende Serben, Juden, Sinti und Roma abgeschlachtet wurden.
Wir sehen: unter aller Kosmetik ist diese Kirche die gleiche, sie ist sich selber treu geblieben. Ihrer verbrecherischen Tradition und ihrer Verbundenheit mit den Mächtigen der Welt, als Hort der Reaktion.
Die skandalöse Seligsprechung des Faschisten-Freundes Stepinac kam genau zur rechten Zeit: Als geistliche Aufrüstung für einen neuen Krieg gegen die Serben, den 3. in diesem Jahrhundert.
Und im Frühjahr 1999 hat der Papst zwar mit allgemeinen Worten zum Frieden gemahnt, aber er kein kein Wort der Verurteilung für den völkerrechtswidrigen Aggressionskrieg der NATO gegen Jugoslawien gefunden.
Wir sehen keinen Grund, unser Urteil über die Rolle und Funktion dieser Katholischen Kirche zu revidieren. Aber wir haben allen Anlass, auch alle anderen Feinde des Freien Denkens, der Freiheit und der Selbstbestimmung des Menschen ins Visier zu nehmen.
Am Beispiel des nach Europa zurückgekehrten Krieges haben wir gesehen: Fast alle Medien haben wie gleichgeschaltet funktioniert. In den Disziplinen Manipulation, Volksverdummung und Gehirnwäsche haben die Kirchen mit den monopolistischen Massenmedien eine mächtige und wirksame Konkurrenz bekommen.
Wie in schlechten Western-Filmen gibt es nur die Guten und die Bösen. Schon bei den Kreuzügen soll es nicht um Macht und Geld, sondern um den wahren Glauben und Gottes Lohn gegangen sein. Heute führen die Mächtigen nicht mehr Krieg für ökonomische und geostrategische Interessen, sondern für Freiheit und Menschenrechte. Und die Erde ist wieder eine Scheibe.
Aus unserem Bewußtsein soll ausgeblendet werden, dass der NATO-Krieg völkerrechtswidrig war und das Völkerrecht zerstört hat. Dass mehr als 2000 Zivilisten in diesem Krieg ihr leben verloren. Dass systematisch zivile Ziele angegriffen wurden, nukleare Munition und Clusterbomben eingesetzt wurden und eine gezielte ökologische Kriegsführung stattfand. Dass dies alles völkerrechtlich geächtet ist und absolut klare Kriegsverbrechen darstellt.
Die Herren der « Neuen Weltordnung » wollen die unumschränkte Weltherrschaft, die Verfügungsgewalt über alle Rohstoffe und natürlichen Ressourcen. Im Zeichen der « Globalisierung » wollen sie die monopolare Weltordnung durchsetzen. Die ökonomische Diktatur soll mit Hilfe von Weltbank, Internationalem Währungsfonds und WTO errichtet werden. Militärisch soll diese Diktatur mit Hilfe der weltweit agierenden NATO garantiert werden. Und zur Absicherung zielen sie auf die globale Meinungsdiktatur, die Uniformierung des Denkens durch die Gleichschaltung der Medien.
Freidenker sind solidarisch mit allen, die wegen ihres Engagements gegen den Krieg verfolgt werden, mit dem französischen General Pierre Bunel, mit jenen, die in Deutschland vor Gericht stehen, weil sie zur Desertion aufgerufen haben, und mit den italiensischen Demonstranten gegen die Kriegsbasis in Aviano.
Die Wiederherstellung des Völkerrechts verlangt die völlige Wiedergutmachung der von den NATO-Aggressoren angerichteten Schäden. Die Kriegsverbrecher an der Spitze der NATO-Staaten gehören vor die Richter der Völker!
Wir fordern die Aufhebung aller Sanktionen und besonders des völkermörderischen Wirtschaftsembargos gegen Jugoslawien, Cuba und den Irak!
Zu allen Zeiten und überall nutzten die Herrschenden religiöse Differenzen für ihre ökonomischen, strategischen und Kriegsziele aus.
So geschieht es in Nord-Irland, im Nahen Osten und in Tibet. Auf dem Weg zur Schaffung der monopolaren Weltordnung, zur Einkreisung und Schwächung Russlands, zur Aneignung des Öls und der Bodenschätze am Kaspischen Meer war Kosovo eine Etappe und die nächste heißt Tschetschenien.
Wie Giordano Bruno sind die Freidenker heute der Logik, der Wahrheit und der Vernunft verpflichtet. Das Ringen um unsere Ideale ist aktueller denn je. Deshalb weisen wir alle religiösen oder « humanitären » Tarnungen imperialistischer Interessen und Kriege zurück.
Deshalb sagen wir bedingungslos und entschieden NEIN zu Faschismus und Krieg.
Deshalb kämpfen wir gegen die Gleichschaltung des Denkens, die globale ökonomische Diktatur der « Neuen Weltordnung », gegen die militärische Diktatur der NATO.
Deshalb kämpfen wir für ein neues Jahrtausend der Menschenrechte und der Laizität.
Deshalb verteidigen wir die Würde des aufrechten Gangs und bleiben der Freiheit, dem Fortschritt und der Emanzipation des Menschen verpflichtet.