Weltunion der Freidenker
Am 5. Juni 1999 war der Deutsche Freidenker-Verband München Gastgeber der Weltunion der Freidenker, die ihren Sitz in Paris hat. Der Internationale Rat, das „Parlament“ der Weltunion kam im Münchner Freidenker-Zentrum zusammen, und beschloß die folgende Erklärung zum NATO-Krieg gegen Jugoslawien.
Angesichts des Krieges der NATO gegen Jugoslawien erklärt die Weltunion der Freidenker:
Der Krieg gegen Jugoslawien ist ein Verstoß gegen die Charta der Vereinten Nationen und hat dem Völkerrecht unermeßlichen Schaden zugefügt. Er stellt nach der UN-Resolution Nr. 130 vom 14.12.1974 eine Aggression und nach der Resolution Nr 75 (I) vom 11.12.1946 ein Verbrechen nach dem Völkerrecht dar.
Dieser Krieg hat darüber hinaus mit der Zerstörung ziviler Ziele und der Infrastruktur für das Leben der Zivilbevölkerung, dem Einsatz nuklearer Munition und der großflächigen Verlegung von Landminen durch Streubomben eklatant gegen das Kriegsvölkerrecht verstossen.
Dieser Krieg markiert den Versuch, das Völkerrecht, das nach der Befreiung vom Faschismus 1945 auf Grundlage der Übereinstimmung der Anti-Hitler-Koalition entstanden ist und die gültige Weltordnung begründet hat, dieses Völkerrecht, das die Souveränität und Gleichheit aller Staaten garantiert, durch einen rechtlosen Zustand zu ersetzen. Wenn im Zusammenhang mit diesem Krieg die Frage von Kriegsverbrechen aufgeworfen wird, dann muß hierbei insbesondere das grundlegende Verbrechen, die Auslösung des Krieges, dieses Verbrechen gegen das Völkerrecht, in den Mittelpunkt gestellt werden. Es verstößt gegen die in der UN-Charta begründete Gleichheit aller Staaten, wenn auf internationaler Ebene juristische Instanzen mit eingeschränkter Zuständigkeit geschaffen werden, die selektiv und möglicherweise im Auftrag einer Kriegspartei die andere Kriegspartei ins Visier nehmen, die Justiz zur Verfolgung von Kriegszielen instrumentalisiert wird.
Mit diesem Krieg versuchen die USA die NATO als militärisches Mittel zu nutzen, um auf den Trümmern des Völkerrechts ihre unumschränkte Weltherrschaft zu etablieren. Die neue NATO-Doktrin für Militäraktionen gemäß eigenen Interessen und in selbst definierten Einflußzonen hat bereits zu entsprechenden Änderungen der Militärdoktrinen Rußlands und Japans geführt. Es wir deutlich, daß die Bemühungen um Abrüstung und Entmilitarisierung der internationalen Beziehungen untergraben werden. Insbesondere werden alle Bemühungen zur Nichtweiterverbreitung von ABC-Waffen zunichte gemacht, da alle potentiellen Opfer eines Angriffs der Weltordnungsmächte ihre wirksamste Verteidigung im Besitz solcher Waffen sehen werden.
Die Weltunion der Freidenker vertritt in der Tradition der Aufklärung und der Französischen Revolution die universelle Geltung der Menschenrechte. Das mit diesem Krieg angegriffene Souveränitätsprinzip bildet nicht nur die Basis der UN-Charta, sondern auch der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und der Europäischen Menschenrechtskonvention. Dieser Krieg verletzte nicht nur das grundlegende Menschenrecht auf Frieden, dieser Krieg unterminiert mit dem Angriff auf das Souveränitätsprinzip auch die gesellschaftliche Voraussetzung, die rechtliche Basis für die Verwirklichung der Menschenrechte.
Die Weltunion der Freidenker ruft dazu auf, die dramatisch veränderte, qualitativ neue historische Situation zu erkennen und der Zerstörung der Weltordnung entschlossen Widerstand entgegen zu setzen.
Die mit dem Krieg gegen Jugoslawien begonnene Zerstörung der UN als Weltorganisation und der auf ihr beruhenden Weltordnung muß aufgehoben, das Völkerrecht auf Grundlage der UN-Charta wiederhergestellt, die Weltorganisation als oberste Autorität in den internationalen Beziehungen neu geschaffen werden.
Die Weltunion der Freidenker repräsentiert die Traditionen des Pazifismus und des Antimilitarismus. Auf dieser Grundlage sagt sie prinzipiell und entschieden Nein zu jedem Krieg und zu jedem Versuch kriegerischer Konfliktlösung.
Krieg und militärische Gewaltanwendung müssen international geächtet werden. Zivilisierte internationale Beziehungen erfordern die Abwesenheit von Gewalt und Gewaltandrohung. Ohne die Gültigkeit und Durchsetzung dieses Prinzips läßt sich weder die Zahl regionaler Konflikte begrenzen, noch ihre Ausweitung unterbinden, vielmehr wächst die Gefahr neuer weltweiter militärischer Konfrontation.
Dieser Krieg markiert einen neuen Tiefpunkt der Presse- und Medienfreiheit. Presse und Medien haben, von wenigen Ausnahmen abgesehen, im Interesse der Kriegsparteien – wie gleichgeschaltet – funktioniert.
Dieser Krieg zeigte erneut, daß sich die maßgeblichen Vertreter der Kirchen als Interessenvertreter und Auftragnehmer der staatlichen Strukturen verstehen, mit denen sie verflochten sind und von denen sie finanziert werden.
Die Weltunion der Freidenker verurteilt Kriege für ökonomische und geostrategische Interessen, die als Einsatz für Menschenrechte getarnt werden. Die Weltunion der Freidenker warnt vor der religiösen und ethnischen Tarnung solcher konkreten Interessen sowie der damit verbundenen Aufheizung von Konflikten. Sie bekundet ihre Solidarität mit allen Opfern des Krieges, unabhängig ihrer Nationalität.
Die Weltunion der Freidenker warnt vor den Gefahren des religiösen Fundamentalismus, der in den ungleichen ökonomischen Beziehungen und neokolonialen Abhängigkeiten einen idealen Nährboden findet. Die Weltunion der Freidenker verurteilt Terrorismus und die Zerstörung multiethnischer Staaten, sie verurteilt die interessengeleitete Doppelmoral vieler Staaten in dieser Frage.
Die Weltunion der Freidenker verurteilt das Streben nach religiös, konfessionell oder ethnisch „reinen » Staaten als Form des Rassismus. Sie verteidigt die prinzipielle Gleichberechtigung aller Menschen unabhängig ihrer sozialen Lage, ethnischen Zugehörigkeit, ihres weltanschaulichen oder religiösen Bekenntnisses. Sie verteidigt die Prinzipien der laizistischen und demokratischen Republik als Fundament eines toleranten Zusammenlebens.
Die Weltunion der Freidenker wirkt für die Verteidigung des Völkerrechts und gegen seine Ersetzung durch den Naturzustand, für die Verteidigung der Zivilisation und gegen den Rückfall in die Barbarei. Dies ist die entscheidende Voraussetzung für die Geltendmachung und Durchsetzung der Menschenrechte, die unabdingbare Grundlage für die völlige Emanzipation des menschlichen Individuums, für das Überleben der Weltzivilisation, für das Offenhalten des Weges in eine menschliche Zukunft.
Beschlossen vom Internationalen Rat der Weltunion der Freidenker
München, den 05.06.1999
Klaus Hartmann
(Präsident der Weltunion der Freidenker)